#Chip Happens Podcast: Folge 7 I Dabei sein, ohne wirklich vor Ort zu sein: Telepräsenz als Retterin für Klima und Menschenleben

Große Probleme brauchen häufig ziemlich kleine Helfer. Der Podcast »Chip Happens – Kleine Dinge, die alles verändern« von Chipdesign Germany zeigt, wie Mikroelektronik und Chipdesign dabei helfen können, die drängenden Fragen unserer Zeit anzugehen –jederzeit nachvollziehbar und alltagsnah.
Das Format richtet sich an alle, die verstehen wollen, wie Technik im Hintergrund wirkt und dennoch zentrale Weichen stellt. Kluge Köpfe aus der Branche sprechen hierfür mit Moderator Sven Oswald über ihre faszinierenden Geschichten, geben überraschende Einblicke und zeigen hautnah die vielen Möglichkeiten, die unser Fachbereich bietet.

In der ersten Staffel »Klimacooldown« erfahrt ihr, wie Mikroelektronik uns im Kampf gegen den Klimawandel unterstützt. Hierfür starten wir ganz weit oben, mit einem Blick auf unseren Planeten aus dem Weltall, um anschließend noch mehr über Klima und Wetter, Daten und Rechenzentren oder Mobilität und Klimaschutz zuhause zu erfahren. Wir freuen uns sehr, dieses besondere Projekt als Partner zu begleiten.

Folge 7 I Wie uns Telepräsenz in der Raumfahrt und Medizin weiterbringen kann

In dieser Folge ergründen wir die Vorteile der Telepräsenz. Darunter fallen schon einfache Videokonferenzen, die wir alle spätestens seit dem ersten Corona-Lockdown im März 2020 nutzen. Der Begriff umfasst auch Telepräsenz-Technologien, welche in Kombination mit Robotik die präzise Manipulation von Objekten ermöglichen und der steuernden Person dabei ein haptisches Echtzeit-Feedback geben. Unsere Gäste Prof. Dr. Daniel Leidner und Dr. Jens Langejürgen beleuchten zwei spannende Anwendungsfelder.

 

Mit Professor Dr. Daniel Leidner, Abteilungsleiter Autonomie und Teleoperation am Institut für Robotik und Mechatronik des deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR, geht es in den Orbit, wo ferngesteuerte Raumschiffe mit Roboterarmen Satelliten einfangen, stabilisieren, warten, upgraden und im Zweifel auch Schrott aus der Umlaufbahn nehmen könnten. Für Astronaut:innen sind solche Lösungen kosten- und ressourcensparender und diese Techniken gefährden keine Menschenleben.

 

Dr. Ing. Jens Langejürgen, Leiter des Forschungsbereichs Gesundheitstechnologien- und Prozesse am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, bringt uns wieder auf den Erdboden und erläutert die Anwendungsbereiche Rettungswägen, Arztpraxen und Operationssäle. Im medizinischen Bereich können die knappen Zeitressourcen von Ärzt:innen mit einfachen Videokonferenzen geschont werden. Des Weiteren können Chirurg:innen ihre Expertise mit der maschinellen Präzision und Ruhe von Roboterarmen kombinieren, um bessere Operationsergebnisse zu erzielen.

Worum geht es in der Folge?

Professor Dr. Daniel Leidner zum Anwendungsfall Raumfahrt

Situation 1:

Laut der europäischen Raumfahrtagentur ESA befinden sich aktuell 14690 menschengemachte Satelliten im Orbit. Alleine von diesen sind schon mehr als 2000 nicht mehr funktionstüchtig. Mehr als 25.000 große (>10cm) Trümmerstücke, entstanden durch über 650 ungeplante Fragmentationsereignisse, werden regelmäßig katalogisiert und verfolgt. Statistische Modelle wie MASTER-8 schätzen die Anzahl der kleineren Trümmerstücke, welche nicht einzeln erfasst werden können, auf c.a. 140 Millionen.

Problemstellung 1:

Wie die Statistik zeigt, befindet sich schon jetzt enorm viel Schrott in der Erdumlaufbahn. Besonders im Low-Earth-Orbit (LEO) ist die Situation angespannt. Die Anzahl der Satelliten hat sich von 2010 auf heute mehr als verdoppelt, da insbesondere kommerzielle Raketenstarts, wie die von Starlink rasant angestiegen sind. Im Fall von Starlink bringt ein einziger Start 60 Satelliten in den Orbit. Je mehr Schrott sich in der Erdumlaufbahn befindet, desto höher steigt die Gefahr einer Kollisionskaskade, auch Kessler-Effekt genannt, welche dramatische Folgen für die Raumfahrt hätte.

Lösungsansätze/Innovationspotenziale 1:

Um unseren Orbit zu säubern, braucht es Systeme die Satelliten warten und wenn nötig sicher zum Verglühen in eine niedrige Umlaufbahn bringen, sowie Weltraumschrott entfernen und andere raumfahrerische Aufgaben erledigen können. Dies lässt sich im Grunde nur über ferngesteuerte Raumschiffe mit Roboterarmen bewältigen, da bemannte Lösungen in Anbetracht der hohen Anzahl an Satelliten und Trümmerteilen im Orbit zu viele Ressourcen, sowie Finanz- und Humankapital verbrauchen würden.

 

Die Teleoperation ermöglichen hier ein effizientes Vorgehen, da sie keine Lebenserhaltungssysteme brauchen, Menschenleben gefährden und 24/7 arbeiten können. Über die Vermittlung von haptischem Feedback an die Steuerungselemente können sie das Gefühl einer echten Berührung realitätsnah simulieren.

Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf / Aktuelle Projekte 1:

Das Topmodell des Instituts für Robotik und Mechatronik des DLR ist aktuell der »Caesar«. Dieser Arm kann bis zu fünf Meter weit ausholen, im Temperaturbereich von -20° bis +60°C arbeiten, und bis zu 10 Jahre im Orbit verweilen. Caesar kann Wartungs- und Reparaturaufgaben übernehmen, Strukturen zusammenbauen und Weltraumschrott entfernen. Sein Vorgänger ROKVISS wurde 2005 an der ISS montiert und hat bis 2010 rund 500 erfolgreiche Tests absolviert.

 

Ein großes Potenzial für Systeme wie »Caesar« besteht bei der Vorbereitung und Unterstützung von bemannten Raumfahrtmissionen z.B. zum Mars. Hier könnten schon Jahre vor Ankunft der ersten Menschen von Robotern Habitate aufgebaut werden. Eine Herausforderung stellt hier jedoch die enorme Entfernung dar, welche die Latenz der Steuerung erhöht und Echtzeit-Feedback quasi unmöglich macht.

Dr. Jens Langejürgen zum Anwendungsbereich Gesundheit und Telechirurgie

Situation 2:

Der Bedarf an medizinischer Versorgung wird mit der alternden Bevölkerung immer weiter steigen. Laut dem statistischen Bundesamt wird sich die Zahl der über 85-jährigen in Deutschland bis 2050 mehr als verdoppeln. Doch im Gesundheitssektor sind insbesondere die Kapazitäten des medizinischen Fachpersonals sehr knapp. Um diesen perspektivischen Mehrbedarf zu bewältigen braucht es auch Reformen und Effizienzsteigerungen im Gesundheitssystem.

Problemstellung 2:

Obwohl die Kapazitäten der deutschen Ärzteschaft schon jetzt stark belastet sind, verbringen sie trotzdem noch viel Zeit mit Bürokratie. Zeitgleich kommen Menschen teilweise unnötig zu Beratungsgesprächen in Praxen oder Kliniken, oder müssen aufgrund fehlender Daten wiederholt untersucht werden. In manchen Fällen, wie z. B. der ambulanten Versorgung, sind keine Ärzt:innen zur Stelle, obwohl es sich oft um sehr zeitkritische Situationen handelt.

Lösungsansätze/Innovationspotenziale 2:

Eine digitalisierte Patientenverwaltung könnte sowohl den Ärzt:innen, als auch den Patient:innen viel Zeit, Mühe und unnötige Wege ersparen. Eine automatisierte Aufnahme von Patientendaten in Kombination mit der elektronischen Patientenakte (ePA) erlaubt Mediziner:innen mehr Zeit für Behandlungen und Patient:innendaten müssen im Idealfall nur einmal eingegeben werden.

 

In der ambulanten Versorgung könnten telemedizinisch zugeschalte Ärtz:innen den Erstversorgern schnell lebenswichtige Handlungsanweisungen geben, die sonst evtl. zu spät gekommen wären. Zukünftig im Krankenwagen integrierte Sensorsysteme wie z. B. ein EKG könnten die Diagnosemöglichkeiten zusätzlich erweitern.

 

Chirurg:innen können über Telechirurgie durch ferngesteuerte Roboterarme ihre Expertise auf einem größeren Gebiet einsetzen, ohne Fahrtzeit und die aufwändigen Hygieneprozeduren in Kauf nehmen zu müssen, die sonst im Operationssaal nötig wären. Ein medizinischer Operationsarm kann darüber hinaus grobe Bewegungen maschinell in feinere übersetzen, sowie Zittern ausgleichen, um noch präziser zu operieren.

Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf / Aktuelle Projekte 2:

Mit TEDIAS hat das Fraunhofer IPA in Kooperation mit Hochschulen und dem Land Baden-Württemberg ein eigenes Entwicklungszentrum für digitale Patientenaufnahmesysteme aufgebaut. TEDIAS nimmt die Stammdaten der Patienten:innen mit virtuellen Ärtz:innen auf und integriert Messtechnik, um die grundlegenden Vitaldaten abzulesen. Diese Daten kann TEDIAS auch selbstständig auswerten und weiterleiten.

 

Im Forschungsprojekt DAIOR arbeitet das IPA seit vielen Jahren mit dem Institute Surgery Guided Par L’image IHU in Straßburg und dem Bosch Digital Innovation Hub KTBW in Stuttgart zusammen, um roboterassistierte Telechirurgie und künstliche Intelligenz in den Operationssaal zu integrieren. Die durch Telechirurgie aus weiter Entfernung entstehende Latenz kann durch die Benutzung von 5G-Infrastruktur minimiert und durch ein KI-Modell teilweise antizipiert, und kompensiert werden.

Zur Folge 7 – Dabei sein, ohne wirklich vor Ort zu sein (Spotify):

Nächste Woche geht es in der achten Episode um den beachtlichen ökologischen Fußabdruck der Informationstechnik selbst, und wie wir diesen verbessern können. Dafür spricht Sven Oswald mit Dr. Phil. Lutz Stobbe, Senior Scientist und Gruppenleiter Sustainable Networks and Computing am Fraunhofer IZM, sowie mit Dipl.-Ing Marco Kircher, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS.

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