Fachkräftemangel | Talentlücke in der Halbleiterindustrie
Besonders seit dem Aufkommen verschiedener Halbleiter-Krisen ist deutlich geworden, dass globale Vulnerabilitäten verstärkt über den Ausbau eigener, lokaler Produktionskapazitäten überwunden werden sollen. Diese angestrebten Kapazitätserweiterungen können jedoch nur dann entscheidend Wirkung entfalten, wenn die Produktionsstätten mit einer ausreichenden Anzahl qualifizierter Fachkräfte ausgestattet sind. Die Fähigkeit, talentierte Fachkräfte anzuziehen und zu halten, wird somit zum immer größeren Erfolgsfaktor in der wachsenden Mikroelektronik-Branche. Sowohl aus politisch-strategischer als auch aus ökonomischer Perspektive gilt es nun, die geeigneten Maßnahmen für eine dauerhaft sichere Fachkräfteversorgung zu entwickeln.
Key Takeaways des Artikels |
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Situation: |
Bei der Halbleiter- / Mikroelektronik-Branche handelt es sich um einen stark vom Fachkräftemangel betroffenen Berufszweig. Bereits jetzt fehlen insgesamt u. a. zehntausend Expertinnen und Experten der Elektrotechnik¹; dabei sind die Bedarfe der aktuell geplanten Groß-Ansiedlungen in den meisten Statistiken noch nicht einmal mit eingerechnet. |
Problemstellung: |
Selbst im Vergleich zu anderen Berufsgruppen mit hohem MINT-Bezug sieht die Situation der Branche schlecht aus; Aspekte wie allg. Imageprobleme, unvorteilhafte demographische Entwicklungen und geringer Zugriff auf neue Talentpools erschweren die Entwicklung². |
Lösungsansatz: |
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Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf (aus der FMD): |
Es braucht ganzheitliche Lösungswege, die über regionale Aktivitäten hinaus gehen. Diese Lösungen müssen die Branchenbedarfe der Zukunft aus technologischer und volkswirtschaftlicher Sicht herausarbeiten, konkrete Roadmaps aufzeigen und diese anschließend auch konsequent und langfristig umsetzen. Die Mikroelektronik Akademie (MEA) der FMD erstellt zurzeit Konzepte, die diese Prozesse unterstützen werden. |
Politische Implikationen: |
Staaten können den Wettbewerb um Fachkräfte als Instrument nutzen. Das Thema Fachkräfte wird somit immer entscheidender für technologische Souveränität und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen High-Tech-Standorts. Alle relevanten Stakeholder müssen deshalb gezielt die Mikroelektronik-Ausbildung stärken, klare Regeln schaffen und zukunftsfähige Ökosysteme etablieren, um global standhalten zu können. |
Wo liegen die Probleme?
Obwohl die Halbleiterbranche nicht die einzige Industrie mit einem akuten Fachkräftemangel darstellt, erweist sich die Situation derzeit als besonders alarmierend. Bereits vor den flächendeckenden Investitionen in die Halbleiterbranche hat der Standort Deutschland in entscheidenden Berufsfeldern wie der Elektrotechnik oder dem Maschinenbau massiven Bedarf an qualifizierten Fachkräften vorzuweisen. Das Ziel der Produktionskapazitätssteigerung könnte diesen Bedarf nun zusätzlich noch verschärfen. Eine im Auftrag vom BDI und dem ZVEI erstellte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) veranschaulicht die Dringlichkeit des Problems und stellt fest, dass im Jahresdurchschnitt rund 62.000 qualifizierte Fachkräfte in solchen Berufen fehlen, die unter anderem in der Halbleiterindustrie eingesetzt werden könnten.¹
Wo liegen die Ursachen?
Verschiedene Umstände führen in der Halbleiterindustrie dazu, dass es immer wieder schwierig ist, neue Arbeitskräfte zu aggregieren, bestehende Fachkräfte zu halten und neue Spitzenkräfte anzuwerben. Die Ursachen dafür sind vielfältig:
Imageproblem
- Die Halbleiterindustrie steht vor einer anspruchsvollen Aufgabe: Sie muss Technologietalente gewinnen, indem sie ihre Markenbekanntheit und ihr Marketing verbessert. Umfragen unter Arbeitgebern und Studierenden zeigen ein geringes Interesse an der Marke »Halbleiter«. Etwa 60 % der leitenden Angestellten war in einer McKinsey Studie der Meinung, dass Halbleiterunternehmen im Vergleich zu anderen, bekannteren Technologieunternehmen ein schwaches Markenimage haben.²
Demografischer Wandel
- Auch die Halbleiterbranche ist mit einer hohen Anzahl an prognostizierten Pensionierungen konfrontiert, die bestehende Lücken weiter verschärfen dürfte. Laut einer Analyse des ZVEI und des BDI ist bereits heute 1/5 aller Halbleiterangestellten im Alter von 55 oder älter. Ähnlich alarmierend sieht es in der EU aus: Ein erheblicher Teil der Beschäftigten in den Bereichen Technik und Produktion steht kurz vor dem Rentenalter.
Nicht genutzte Talentpools
- Neben dem akuten Mangel an Fachkräften gibt es jedoch weiterhin ungenutzte Potenziale, die eine Entschärfung der Lage zur Folge haben könnten. Beispielsweise scheitert häufig die Akquise von neuen oder bis dahin arbeitslosen Arbeitnehmer:innen an nicht vorhandenen/geeigneten Qualifikationen. Zudem sind weibliche Bewerber:innen weiterhin stark unterrepräsentiert. Nur 24 % der Beschäftigten in der Halbleiterindustrie in ganz Europa sind Frauen, deutlich weniger als in anderen Berufen der Tech-Industrie wie zum Beispiel Sozialen Netzwerken (50 % Frauenanteil). Hierzu passend sind laut Analyse der »Global Semiconductor Alliance« im Ingenieursbereich nur rund 15 % weiblich³!
Obwohl derzeit verschiedene Branchen um begehrte Fachkräfte kämpfen, wird die Halbleiterindustrie Opfer ihres eigenen Erfolgs. Doch ganz so düster bleiben die Prognosen nur, wenn keine adäquaten Maßnahmen eingeleitet werden. Die Halbleiterbranche hat den großen Vorteil, attraktive Benefits vorweisen zu können und blickt auf eine Zukunft mit vielfältigen und zukunftsweisenden Anwendungsfeldern. Das vorhandene Potenzial muss also schnellstmöglich genutzt werden, um diesen Negativtrend zu einer Erfolgsgeschichte umzukehren. Doch wie könnten diese Maßnahmen aussehen?
Wie kann die Lücke geschlossen werden?
Quereinstiege erleichtern
- Der Vorteil der Halbleiterindustrie liegt darin, dass Deutschland auf ein vergleichsweise hohes Kontingent an technisch ausgebildeten Fachkräften zugreifen kann. Durch gezielte Weiterbildungsangebote und attraktive Quereinstiegsmöglichkeiten könnte die Halbleiterindustrie so den Zuschlag gegenüber anderen Industrien erlangen und dadurch einen Teil der Lücke füllen.
Weibliche Fachkräfte begeistern
- Die Durchschnittsquote von nur 7% an Expertinnen in der Elektrotechnik steht sinnbildlich für das ungleiche Geschlechterverhältnis innerhalb der Branche¹. Das Ziel muss also darin liegen, Arbeitsangebote deutlich attraktiver für Frauen zu gestalten. Einerseits muss ein Klima geschaffen werden, in dem weibliche Fachkräfte und Hochschulabsolvent:innen eine nachhaltige Perspektive innerhalb der Branche sehen. Andererseits können handfeste Angebote wie die Erhöhung von Teilzeitangeboten einen weiteren Lockfaktor für den Erwerb neuer Mitarbeiterinnen darstellen.
Nachwuchs fördern
- Die Wachstumsperspektiven der Halbleiterbranche (verschiedene Prognosen gehen von jährlich 6-8 % aus) lassen darauf schließen, dass nicht nur ein kurzfristiger Ausgleich des Fachkräftemangels geschehen muss, sondern auch langfristige Lösungen zur Entschärfung des Problems gefunden werden müssen. Mit besonderem Blick auf die Anzahl der alternden Beschäftigungsstrukturen sollte deshalb die Ausbildung von Expert:innen an Universitäten und Hochschulen massiv gefördert werden. Durch das Aufzeigen exemplarischer Karrierewege oder die diversen Anwendungsfelder einer abgeschlossenen akademischen Ausbildung könnten so besonders Schülerinnen für einen halbleiter-nahen Studiengang begeistert werden.
Konkrete Lösungen
Um diesem Fachkräftemangel im Bereich Mikroelektronik entgegenzuwirken, startete die FMD im Dezember 2022 mit dem Aufbau einer Mikroelektronik-Akademie. Das Ziel dieses innovativen Projekts ist es, die oben beschriebenen notwendigen Maßnahmen zur Begeisterung von neuen Arbeitskräften für den Mikroelektronikbereich in die Tat umzusetzen. In Kooperation mit Bildungseinrichtungen, bestehenden Nachwuchsförderprojekten und Industriepartnern soll die Akademie praxisbasierte Modulangebote erarbeiten und erproben.
Dieser praxisnahe und fachlich spannende Einstieg in die Welt der Mikroelektronik soll besonders auf die Vielfältigkeit der Mikroelektronikforschung aufmerksam machen und den Gestaltungsspielraum von Mikroelektronik für Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit, technologische Souveränität oder Next-Generation-Computing praktisch herauszustellen. Des Weiteren zielt die Mikroelektronik-Akademie darauf ab, die Zukunftstechnologie Mikroelektronik als Arbeitsfeld bekannter zu machen und bestehende Zugangsbarrieren abzubauen. So sollen vor allem jungen Menschen konkrete Tätigkeitsfelder und Einsatzmöglichkeiten aufgezeigt werden, um sie für einen Karriereweg in der Mikroelektronik zu begeistern. Damit will die FMD dazu beitragen, die Fachkräfte von Morgen zu begeistern und einen Weg aus dem Fachkräftemangel skizzieren.
Ausblick
Das Wachstum des Halbleitermarkts und der Bau neuer Fabriken werden die Nachfrage nach Fachkräften erhöhen, was eine raffiniertere Herangehensweise erfordert, beispielsweise das Einstellen vieler Arbeitskräfte in kurzer Zeit, oft an Standorten ohne vorhandenes Halbleiter-Ökosystem. Die ambitionierten Ziele staatlicher Unterstützung zur Produktionssteigerung der Halbleiterindustrie müssen demnach mit einer korrespondierenden Fachkräftestrategie komplementiert werden. Die Analyse hat gezeigt, dass diverse Maßnahmen offenstehen, um das bestehende Beschäftigungspotenzial auszunutzen. Allen voran steht dabei die Förderung von Quereinstiegen und Weiterbildungsmöglichkeiten im Fokus. Hinzu kommt, dass die Halbleiterbranche von der IT-Branche lernen kann und explizit die Möglichkeit nutzen sollte, weibliche Fachkräfte anzuwerben.
Von der Entwicklung autonomer Fahrzeuge über Fortschritte im Quantencomputing bis hin zur Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz könnten die kommenden zehn Jahre als das Halbleiter-Jahrzehnt in die Geschichte eingehen. Allerdings ist es von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen in dieser aufstrebenden Ära der Halbleiter sicherstellen, dass sie über die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen, um Innovationen voranzutreiben und sich auf dem globalen Markt zu behaupten.
Quellen
- ¹ Sabine Köhne-Finster, Susanne Seyda und Dirk Werner, Fachkräftemangel in Berufen der Halbleiterindustrie -Die aktuelle Fachkräftesituation und zukünftige Ersatzbedarfe in den wichtigsten Berufen der Chip-Produktion, Institut der deutschen Wirtschaft, 23.12.2022. LINK
- ² Scott Brugmans, Ondrej Burkacky, et. al., How semiconductor companies can fill the expanding talent gap, McKinsey & Company, 02.02.2024. LINK
- ³ Alexis Mc Kittrick, As the Semiconductor Industry Workforce Booms, Employers Must Prioritize Gender Equity, U.S.News.com, 22.3.2024. LINK
- ⁴ Lydia Malin, et. al., Fachkräfteengpässe in Unternehmen Fachkräftesicherung in Deutschland – diese Potenziale gibt es noch, Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung. 19.06.2019. LINK