20.05.2025 News Interviews

Photonic Integrated Circuit | Über Datenübertragung via Licht und wie PICs die digitale Zukunft revolutionieren können

©Adobe Stock | Vitte Yevhen

Im Interview: Prof. Dr. Anna Lena Schall-Giesecke vom Fraunhofer IMS

In Bereichen wie der Telekommunikation und Künstlicher Intelligenz wächst der Bedarf an Technologien, die Daten schneller und effizienter übertragen können. Eine vielversprechende Lösung bieten Photonic Integrated Circuits (PICs), die Licht statt Elektrizität nutzen, um Informationen mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit zu verarbeiten und gleichzeitig den Energieverbrauch minimieren. Das Potenzial ist groß. Aus diesem Grund haben wir mit Prof. Dr. Anna Lena Schall-Giesecke vom Fraunhofer IMS und der Universität Duisburg-Essen über die Besonderheiten von PICs gesprochen.

Prof. Schall-Giesecke, Sie leiten am Fraunhofer IMS die Gruppe Photonic Structure Integration. Welche Aufgaben haben Sie bzw. Ihre Gruppe?

Unser Aufgabenbereich liegt in der Entwicklung neuer photonischer Technologien, die auf herkömmlichen Elektronikschaltungen aufgebracht werden können. Nicht etwa in einem separaten Fertigungsprozess, als Teil eines monolithischen Herstellungsverfahrens. Das bedeutet: Photonik und Elektronik entstehen gleichzeitig auf demselben Chip, ohne dass dafür zwei unterschiedliche Herstellungsorte nötig sind. So erreichen wir eine besonders enge, direkte Integration der Technologien.

Was unterscheidet photonische Technologien von herkömmlichen elektronischen Schaltungen?

Photonische Technologien nutzen Licht (Photonen) zur Informationsverarbeitung und -übertragung anstelle von Elektronen. Das bedeutet, in der Photonik kommen optische Signale zum Einsatz, um Daten zu übertragen, was oft schneller und effizienter ist. Bei den Photonic Integrated Circuits (PICs) werden viele optische Komponenten auf einem einzigen Chip integriert.

Lassen Sie uns einen genaueren Blick auf die PICs werfen. Was macht sie so besonders und vielversprechend im Vergleich zu traditionellen Ansätzen?

Früher, in den 40er und 50er Jahren, als die ersten Computer entwickelt wurden, füllten die ganze Räume und bestanden aus vielen diskreten Komponenten. Diese riesigen Maschinen waren anfällig für Störungen – oft fiel innerhalb von 50 Minuten eine Komponente aus und es musste ein Techniker kommen, um sie zu auszubauen und zu tauschen.

 

In den Optiklaboren stehen wir heute an einem ähnlichen Punkt. Dort werden komplexe optische Systeme eingesetzt, etwa für Quantenexperimente, die ebenfalls viel Platz benötigen und sehr aufwendig in der Handhabung sind. Das ist nicht praktikabel. Daher setzen wir mit unserer Forschung genau hier an. Wir realisieren eine photonische Variante des elektronischen Schaltkreises.

©Fraunhofer IMS

Die Besonderheit von photonischen integrierten Schaltkreisen (PICs) liegt darin, dass sie die Komplexität und den Platzbedarf der traditionellen Optik überwinden. Statt separate optische Komponenten auf großen Tischen zu betreiben, können wir alle optischen Bauteile auf einem einzigen Chip integrieren. PICs ermöglichen es, Schaltungen zu schaffen, die mit Licht statt mit Elektrizität arbeiten – und das in einer kompakten sowie zuverlässigen Form. Dadurch können wir die Vorteile der Optik, wie hohe Geschwindigkeit und geringe Verluste, in eine zugänglichere Technologie umwandeln. Das macht PICs besonders vielversprechend für die Zukunft von Kommunikation, Quantencomputing und vielen anderen Bereichen.

Könnten Sie den Herstellungsprozess für PICs genauer erklären? Wie läuft dieser ab und welche Schritte sind dabei besonders wichtig?

Wir beginnen den Prozess ähnlich wie in der klassischen Elektronik: Mit einem Silizium-Wafer, der als Grundlage dient. Auf diesen Wafer werden dann verschiedene Schichten aufgetragen, meist durch Abscheidungsprozesse wie CVD (Chemical Vapor Deposition) oder sputtern.

 

Anschließend kommt die Fotolithographie zum Einsatz, die auch in der klassischen Elektronikfertigung verwendet wird. Bei diesem Verfahren werden Masken und lichtempfindliche Materialien genutzt, um die gewünschten Strukturen auf der Waferoberfläche zu definieren. Nach der Belichtung werden die Strukturen durch Ätzprozesse in den Wafer übertragen.

 

Was wir dann erhalten, ist eine Art Lichtleiterbahn. Sie funktioniert ähnlich wie eine Glasfaser, die Licht von Punkt A nach Punkt B überträgt. Der Unterschied ist, dass diese Lichtleiterbahnen nicht so knickbar oder instabil sind wie Glasfasern. Sie sind sehr klein, präzise und stabil, und werden genau auf dem Chip positioniert. Diese Strukturen sind die Grundlage für die photonischen Bauteile auf dem Chip, wie z. B. Wellenleiter, die Licht führen, oder optische Modulatoren, die das Licht steuern, und sie ermöglichen eine Datenübertragung in Lichtgeschwindigkeit. Also die schnellste Art, die es gibt!

Sie sprachen gerade das Thema Wellenleiter an. Am Fraunhofer IMS arbeiten Sie auch mit einer anpassbaren Photonik-Plattform, die Wellenlängen eines breitbandigen Spektrums unterstützt und dank ultraverlustarmer Wellenleiter besonders energieeffizient ist. Können Sie uns dazu mehr erzählen?

Natürlich. Schauen wir uns dazu erst einmal ein paar Grundlagen an. Die ersten photonischen Wellenleiter wurden ursprünglich für die reine Datenkommunikation hergestellt, also um Daten im Rechenzentrum von A nach B zu übertragen. Dafür wurde Licht mit bestimmten Wellenlängen genutzt, typischerweise im Bereich von 1310 bis 1550 Nanometern. Diese Bereiche eignen sich besonders gut für Glasfaserkommunikation – sind aber nicht universell einsetzbar.

 

Hinzu kommt: Das damals verwendete Material, reines Silizium, hat in anderen Wellenlängenbereichen physikalische Einschränkungen. Deshalb setzen wir auf alternative Materialien wie Siliziumnitrid und Aluminiumnitrid. Diese sind breitbandig einsetzbar – sogar im sichtbaren Spektrum, also im Bereich von etwa 400 bis 800 Nanometern. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten, etwa in der Sensorik oder in der Quantenphotonik. Dort können wir nun Licht gezielt manipulieren – zum Beispiel eine bestimmte Farbe (Wellenlänge) in eine andere umwandeln. Damit das funktioniert, muss der Wellenleiter jedoch in der Lage sein, all diese Farben ohne große Verluste zu führen. Wird das Licht bei einer bestimmten Wellenlänge vom Material absorbiert, wäre der Effekt dahin. Daher entwickeln wir breitbandige Wellenleiter, die mehrere Farben gleichzeitig übertragen können – und das innerhalb eines einzigen Chipquerschnitts. Das macht unsere Plattform nicht nur vielseitig, sondern auch effizient.

 

Und das Beste: Unsere ersten Aluminiumnitrid-Wellenleiter funktionieren bereits! Das ist ein völlig neuer Prozess – und ein großer Schritt nach vorn.

 

Übrigens ist das auch ein Alleinstellungsmerkmal unserer Arbeit: Es ist eher selten, dass sich Teams so konsequent mit dem gesamten Spektralbereich beschäftigen – insbesondere mit dem sichtbaren Licht und den darüberhinausgehenden, kurzwelligen Bereichen, also dem blauen Licht bis hin zum ultravioletten (UV) Bereich. Während viele sich auf die klassischen Wellenlängen im Infrarot konzentrieren, schauen wir gezielt auf Materialien, die auch in diesen kurzwelligen Spektren funktionieren. So erweitern wir Schritt für Schritt die nutzbare Bandbreite photonischer Systeme.

Sind PICs also eine neue Technologie?

Nicht ganz. PICs gibt es tatsächlich schon seit mehr als 25 Jahren. Allerdings basierten sie lange Zeit auf speziellen Materialplattformen, die nur sehr schwer skalierbar waren. Das bedeutete: Man konnte sie meist nur auf kleinen Wafern herstellen. Sobald man versuchte, größere Wafer zu nutzen, wurden diese instabil und brüchig, sodass sie nicht mehr automatisch verarbeitet werden konnten. Hinzu kam, dass das Ausgangsmaterial extrem teuer war. Beides – die schlechte Skalierbarkeit und die hohen Materialkosten – machten die Technologie für viele Anwendungen unpraktisch.

 

Wie schon erwähnt, setzen wir daher auf andere Materialien – nämlich CMOS-kompatible. Diese können in klassischen Elektronik-Reinräumen weiterverarbeitet werden – also dort, wo auch herkömmliche Mikrochips gefertigt werden. Das bringt zwei große Vorteile: Zum einen können wir auf bestehende Infrastrukturen zurückgreifen, zum anderen ist damit auch die Skalierung auf große Waferformate möglich. Das macht unsere photonische Plattform nicht nur effizienter, sondern auch wirtschaftlich deutlich attraktiver.

Lassen Sie uns einen Blick auf die Anwendungsgebiete werfen. PICs sind spannend für Bereiche wie Telekommunikation, Optisches Computing, Künstliche Intelligenz und Medizintechnik. Aber inwiefern sorgen sie für Innovationen, die vorher noch nicht möglich waren?

Ein gutes Beispiel ist das photonische oder optische Computing – also Rechnen mit Licht. Der Gründer von OpenAI hat sinngemäß gesagt, dass er künftig Rechenzentren mit einem Energiebedarf von fünf Gigawatt bauen möchte. Klingt beeindruckend – aber wenn man das hochrechnet, bräuchte man für jedes einzelne dieser Rechenzentren etwa 1,3 Atomkraftwerke. Das hängt damit zusammen, dass moderne KI-Anwendungen auf extrem vielen Rechenoperationen beruhen. Dabei werden Unmengen an Energie gebraucht.

 

Die Photonik hingegen benötigt gar keine Energie. Denn der entscheidende Rechenvorgang geschieht durch die Überlagerung zweier Lichtwellen. Natürlich muss man das Licht am Anfang einspeisen und ggf. verstärken, weil über längere Distanzen Verluste auftreten. Aber der eigentliche Rechenvorgang – das, was in elektronischen Systemen die meiste Energie frisst – ist in der Photonik nahezu verlustfrei. Das ist gerade in Hinblick auf energieeffizientes KI-Computing der nächsten Generation relevant. Natürlich wird es nicht so sein, dass künftig weltweit alle Computer ausschließlich photonisch rechnen – für viele Anwendungen wird klassische Elektronik weiterhin sinnvoll bleiben. Aber überall dort, wo es um sehr viele, sehr schnelle Multiplikationen geht, also genau das, was in modernen KI-Systemen zentral ist, kann die Photonik eine entscheidende Lücke füllen.

©Fraunhofer IMS

Daneben finden PICs aber auch in der Sensorik Anwendung, etwa in Wearables wie Smartwatches. Aktuell sind diese Systeme noch recht einfach: Eine Diode leuchtet auf die Haut und misst zum Beispiel den Puls – oft aber nur ungenau. Mit einem integrierten photonischen Chip, der das Licht interferometrisch auswertet, lassen sich Vitalparameter wie Schlaf oder Blutdruck deutlich präziser erfassen. Solche Chips könnten künftig sogar in der medizinischen Diagnostik eingesetzt werden – direkt am Patienten, in sogenannten Point-of-Care-Systemen.

 

Auch in der Datenkommunikation sind PICs längst angekommen. Ich habe viele Jahre an photonischen Telekommunikationschips gearbeitet. Am Ende landen diese Hochtechnologien in den grauen Kästen am Straßenrand – unscheinbar, aber essenziell für unsere digitale Infrastruktur. Es ist faszinierend, wie unsichtbar diese komplexe Technologie bereits heute unser Leben mitgestaltet.

Auch für Quanten- und neuromorphes Computing können PICs interessant sein, richtig?

Gewissermaßen. Aktuell ist es so, dass die meisten Quantencomputing-Systeme auf supraleitende Technologien ausgelegt sind. Um dieses System zu betreiben, braucht es Temperaturen nah am absoluten Nullpunkt. Und je näher man an diesen Nullpunkt herankommen möchte, desto mehr Energie wird benötigt. Das Kühlen sorgt dafür, dass die Qubits stabil bleiben, sonst würden sie ihre Eigenschaften und Information verlieren – das nennt man Dekohärenz.

 

Jeder der Mal gesehen hat, was man für riesige Apparaturen braucht, um diese Temperaturen zu erreichen, weiß, dass solche Systeme nicht in jedem Haushalt zu finden sind. Quantencomputer, die am absoluten Nullpunkt funktionieren, sind auf der Erde schwierig zu betreiben. Und da kommt auf jeden Fall die Photonik zum Einsatz, die hier als Hilfstechnologie wirken kann.

©Fraunhofer Mikroelektronik

Lassen Sie uns den Blick kurz in die Zukunft richten: Welche Technologien werden die Leistungsfähigkeit und Anwendbarkeit von PICs prägen?

»Auf jeden Fall Chiplet-Technologie. Also das, worum sich die APECS-Pilotlinie dreht. Wir müssen diese ganzen verschiedenen Technologien, die an unterschiedlichen Orten hergestellt werden, vereinen.«

Abschließend würden wir Ihnen gern noch eine persönliche Frage stellen: Was begeistert Sie an der Mikroelektronik?

»Dass man etwas Neues erschaffen kann. Viele lassen sich von den Bereichen Technologie und Mikroelektronik abschrecken, dabei kann die Komplexität so viel Spaß machen. Und das Besondere an außer-universitären Forschungsinstitutionen wie der Fraunhofer-Gesellschaft ist, dass man von der Idee, über die Simulation, bis zur Herstellung alles messen und sehen kann. Das ist richtig cool.«

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