01.06.2023 News Interviews

Zukunftstechnologien | Über die Bedeutung von Quanten- und neuromorphem Computing

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Im Interview: Dr. Steffen Kurth vom Fraunhofer ENAS und Dr. Thomas Knieling vom Fraunhofer ISIT und IMS

Dr. Steffen Kurth [SK] vom Fraunhofer ENAS und Dr. Thomas Knieling [TK] vom Fraunhofer ISIT und Fraunhofer IMS über Chancen und Herausforderungen in der Entwicklung neuer Computergenerationen und das enorme Potenzial, das sich aus den erwarteten Leistungssteigerungen ergibt.

Was sind die besonderen Eigenschaften von neuromorphem und Quantencomputing?

[SK] Beim neuromorphen Computing werden auf herkömmlichen Elektroniken sogenannte neuromorphe Zellen ergänzt, die man umschalten kann. Man hat also eine Elektronik, die sich ständig selbst umkonfiguriert, man bleibt aber dabei, die herkömmlichen Zustände Eins und Null wiederzugeben.

Beim Quantencomputing ist das vollkommen anders; hier geht es um Atome oder Ionen und deren Energiezustände. Diese Energiezustände lassen sich nicht so leicht technisch mit Eins oder Null erfassen, sie sind immer irgendwo dazwischen. Man braucht bei der Auswertung für eine eindeutige Aussage deshalb einen statistischen Mittelwert, um mit guter Wahrscheinlichkeit sagen zu können: das ist eine Eins oder eine Null.

Was sind Vorteile und Anwendungen dieser neuen Rechnertechnologien?

[TK] Beim Neuromorphic Computing geht es darum, Hirnstrukturen nachzustellen. Synapsen arbeiten beispielsweise sehr stark dezentralisiert, verbrauchen viel weniger Energie und sind trotzdem schnell.

Die Vorteile vom Quantencomputing liegen hingegen darin, dass man bestimmte Aufgaben viel schneller lösen kann als mit konventionellen Computern mit binären Zuständen. Zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Materialien oder von Medikamenten und neuen Therapien. Auch bei der Energiegewinnung gibt es Herausforderungen, die man mit dem Quantencomputing einfach viel schneller und effizienter lösen kann.

Die Mikroelektronik ist vor allem ein Enabler, um die notwendigen Komponenten für Qubits bereitzustellen.

Dr. Thomas Knieling | Fraunhofer ISIT und IMS

Wo herrscht noch weiterer Forschungsbedarf und welche Rolle spielt die Mikroelektronik?

[TK] Viele Entwicklungen liegen nur auf dem Labor-Level vor. Das heißt, man braucht Technologien, um eine höhere Integration zu erreichen und so die Anzahl der Qubits zu erhöhen. Die Mikroelektronik ist vor allem ein Enabler, um die notwendigen Komponenten für Qubits bereitzustellen. Wenn man im großen Maßstab viele Qubits erzeugen will, kann dies nur durch Mikroelektronik-Prozesse erreicht werden.

©Fraunhofer Mikroelektronik

Was ist die strategische Bedeutung der neuromorphen und Quanten-Technologien?

»[SK] Eine Triebkraft ist immer ein wenig die Angst davor, im Weltmaßstab entblößt dazustehen, denn es geht um eine ganz neue Qualität, die erreicht werden kann, wenn die Menge an Rechenoperationen, die zu einer gegebenen Zeit durchgeführt wird, so extrem steigt. Durch Quantencomputer werden viele Verschlüsselungstechnologien, wie wir sie gegenwärtig kennen, nicht mehr effektiv einsetzbar.

Zweitens gehen wir davon aus, dass eine erhöhte Rechenquantität um mehrere Zehnerpotenzen, ähnlich wie beim Smartphone in den letzten 10 – 20 Jahren, dazu führt, dass eine ganz neue Qualität an Applikationen möglich wird. Dies ist unser »Lockstoff«, um Quanten und neuromorphes Computing rasch weiterzuentwickeln.

Wie stehen Deutschland und Europa international da und wie bindet sich das Projekt »FMD-QNC« in das Ökosystem ein?

[TK] In Deutschland findet schon seit vielen Jahren wegweisende Forschung in den Quantenwissenschaften statt, erste Qubits wurden im Labor erzeugt und auf diesen Grundlagen müssen wir aufbauen! Ziel ist es, diese Forschung gemeinsam in Deutschland und Europa weiter voranzutreiben und weltweit eine führende Position einzunehmen. Dafür wurden und werden bereits sehr viele Forschungsmittel bereitgestellt.

 

[SK] Das Projekt »FMD-QNC« beschäftigt sich fachlich mit einer großen Breite unterschiedlicher Technologien für das Quanten- und das neuromorphe Computing. Wir befassen uns dabei mit der Erweiterung der vorhandenen Anlagentechnik und auch damit, die Technik weiter für einen Transfer in die Industrie zu qualifizieren.

 

Es kommt besonders darauf an, einen niederschwelligen Zugang zu erreichen, um kurzfristig und agil neue Technologien aus dem neuromorphen und Quantencomputing testen zu können – technische Möglichkeiten, die z. B. KMU und Start-ups oft nicht haben. Ein zweiter Punkt ist die Weiterbildung von Fachkräften, die an den Einrichtungen und der neuen Technik erfolgen kann.

Einen Rahmen um die beteiligten Institute herum zu setzen und die Arbeiten zu koordinieren, ist eine wichtige Aufgabe. Die FMD bietet sich geradezu an, diese Klammer zu bilden. In der Geschäftsstelle der FMD sind die Kräfte gebündelt, die für die Auftraggeber und Kunden – ob das jetzt Universitäten, Forschungseinrichtungen oder Unternehmen sind – einen Anlaufpunkt darstellen. Sie alle bekommen einen niederschwelligen Zugang zu den erforderlichen Technologien, werden geguided und die richtigen, für die jeweiligen Probleme geeigneten, Institute werden eingebunden.

Wir reden hier von einer ganz neuen und bisher ungeahnten Qualität an Rechenleistung.

Dr. Steffen Kurth | Fraunhofer
ENAS

Quo Vadis, Quanten- und neuromorphes Computing?

[SK] Wenn das Projekt »FMD-QNC« in knapp drei Jahren zu Ende geht, dann geht die Arbeit erst richtig los. Zu diesem Zeitpunkt sind viele neue technische und wissenschaftliche Ansätze hervorgebracht, die man dann ohne lange Vorbereitung realisieren kann. Die Entwicklung der Technologien für Quanten- oder neuromorphes Computing ist rasant. Wir können uns gegenwärtig nicht vorstellen, dass Quantencomputer vielleicht sogar in ein häusliches Umfeld einziehen. Aber ich würde dennoch davon ausgehen, dass sie in 10 – 15 Jahren an zahlreichen Stellen in der Wirtschaft, im Bereich KMU, vielleicht sogar bei Enthusiasten im privaten Bereich Einzug gehalten haben.

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