Grüne Mikroelektronik | Über die Bedeutung nachhaltiger Elektronik
Dr. Mathilde Billaud [MB] und Dr. Nils F. Nissen [NFN] vom Fraunhofer IZM sprechen über die Bedeutung von Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz in der Mikroelektronik und die Chancen, die sich aus grüner Elektronik für Deutschland und Europa ergeben.
Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Elektronik?
[NFN] Nachhaltigkeit bei Elektronik machen wir hauptsächlich an den Umweltwirkungen fest. Der Begriff Nachhaltigkeit bezieht aber natürlich auch die sozialen Fragestellungen und die Wirtschaftlichkeit mit ein. In unserer Arbeit konzentrieren wir uns primär auf die Bereiche, in denen wir bei der Technologie selbst etwas bewegen können und auch bewegen müssen. Denn obwohl die Elektronik pro Produkt effizienter wird, steigt ihr Umwelteinfluss trotzdem von Jahr zu Jahr, da immer mehr Elektronik produziert und eingesetzt wird.
Das ganze Wirtschaftssystem, das wir aktuell haben, basiert am Ende auf Elektronik-Hardware, nur dass diese oft versteckt ist und gar nicht so wahrgenommen wird. Das heißt aber im Umkehrschluss auch, dass diese große Basis für unsere ganze Wirtschaft besonders umweltfreundlich sein muss.
Wo kann die Mikroelektronik hier ansetzen?
[NFN] Es lässt sich vor allem in zwei großen Bereichen ansetzen: Zum einen ist das der ganze Bereich der Leistungselektronik und zum anderen ist das alles, was mit Kommunikation und Datenverarbeitung zu tun hat – also der Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik. Die absoluten Zahlen sagen, dass die Mikroelektronik zwar nicht der Haupttreiber für die Umweltprobleme auf der Welt ist, allerdings ist sie ein Teil davon, der sowohl durch die Menge an Elektronik und Elektronikschrott als auch durch den Energieverbrauch der Elektronik global zunimmt. Gleichzeitig kann die Elektronik natürlich an vielen Stellen auch dazu führen, dass andere Systeme besser, also umweltfreundlicher oder nachhaltiger werden. Unsere Arbeit fokussiert sich hingegen auf die Elektronik selbst. Wir arbeiten insbesondere daran, wie die Elektronik selbst grüner werden kann und möglichst wenig Umwelteinfluss erzeugt.
Welche Rolle spielt dabei die Herstellung von mikroelektronischen Komponenten?
[MB] Halbleiter-Produktionslinien werden in Front-End und Back-End unterteilt. Die höchste Umweltbelastung liegt im Front-End-Prozess, also bei der Herstellung. In den verschiedenen Prozessschritten werden viele Materialien, Energie und Ressourcen verbraucht. Das alles ist unglaublich teuer und so gibt es bereits viele Aktivitäten in diesem Bereich, um signifikante Einsparungen zu erzielen. Aber wir können immer noch besser werden und die Prozesse optimieren. Beispielsweise benötigt ein Reinraum selbst sehr viel Strom, aber auch Wasser und natürlich Chemikalien. Hier gibt es noch ein sehr großes Einsparpotenzial.
Welche weiteren Bereiche in der Elektronik müssen nachhaltiger gestaltet werden?
[NFN] Der Haupttreiber für umweltgerechte Elektronik ist derzeit die sogenannte Circular Economy – auf deutsch Kreislaufwirtschaft − also der Versuch, die wertvollen Materialen, die wir in Elektronik verbauen, möglichst lange und auf einem hohen Niveau im Kreis zu führen. Wir brauchen Geräte, die langlebig und reparabel sind. Mit diesen Ansätzen können wir viel mehr für die Umwelt erreichen, als wenn wir nur wenige Prozent an Material in der Herstellung sparen.
[MB] Bei grüner Mikroelektronik muss man darüber hinaus auch immer an die Anwendung denken. Wo brauche ich die Mikroelektronik wirklich und wo wäre es sinnvoll, keine Elektronik zu verwenden? Mikroelektronik ist günstiger geworden, weil wir die Prozesse und Lieferketten optimiert haben, aber das bedeutet nicht, dass wir auch überall Mikroelektronik benutzen und einbauen sollten.
Welche Chancen bietet grüne Mikroelektronik für Deutschland und Europa?
[NFN] Im Moment ist die Elektronikindustrie in Deutschland zersplittert und über Jahrzehnte gesehen im Rückgang. Es gibt einige sehr exzellente Bereiche und Firmen, wo wir wirklich gut dastehen. Einige andere Bereiche müssen in Deutschland aber erst wieder neu angesiedelt werden und wachsen. Es gibt Bestrebungen, sowohl der Einzelunternehmen, aber eben auch politisch, die Produktion wieder zurück nach Europa, nach Deutschland, zu holen. Und da sehen wir grüne Elektronik als einen sehr positiven Nebentreiber. Wenn wir Elektronik besonders effizient machen, wenn wir hoch automatisierte moderne Technologien hier in Deutschland entwickeln und herstellen, dann haben wir die Möglichkeit, wieder regionale Lieferketten in der Elektronik zu etablieren.
Welche Rolle spielt hier die FMD und das jüngst gestartete Projekt »Green ICT @ FMD«?
[NFN] Die Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland kann der zentrale Ansprechpartner für alle Umweltfragen in der Elektronik sein. Die Besonderheit ist, dass die FMD alle Elektroniktechnologien, die in Deutschland noch vorhanden sind, unterstützen kann. Das Projekt »Green ICT @ FMD« ist quasi die logische Fortführung der Idee der FMD selber – also zu bündeln, was einzelne Institutionen in der Forschungslandschaft schon machen und unter einem Dach zusammen anzubieten. Wir haben hier eine tolle Sache mit der FMD aufgebaut, aber es fehlt ein entscheidender Aspekt: die Umweltkomponente.
Worum geht es bei dem Projekt genau?
[NFN] Es soll ein Kompetenzzentrum für die Industrie, aber auch für Politik und individuelle Kunden, junge Menschen und Studierende entstehen. Das Besondere an »Green ICT @ FMD« ist, dass wir wirklich in der ganzen Breite, in allen Facetten, Know-how zu grüner Elektronik anbieten können: Wie können wir die Komponenten verbessern? Was können wir bei den fertigen Produkten optimieren? Was können wir sowohl beim Energieverbrauch, aber vor allen Dingen auch beim Materialeinsatz bewegen? Das Projekt setzt an verschiedenen Teilbereichen an. Der eine Bereich ist die so genannte Sensor-Edge-Cloud, wo es darum geht, in Sensorsystemen Energie, aber auch Material zu sparen. Dann gibt es den Bereich Kommunikation − was sind die neuen Technologien für Kommunikationsnetze und wie kann man die bestehenden optimieren? Und der dritte Bereich ist die eigentliche Produktion, also der hohe Umwelteinfluss von Elektronik aus Reinraum-Produktionsprozessen, Leiterplatten-, Baugruppen- und Produktherstellung.
Wer soll damit konkret adressiert werden?
[NFN] In erster Linie richtet sich »Green ICT @ FMD« natürlich an die Industrie – vom Start-up, das erste Erfahrungen mit grüner Elektronik sammelt, bis hin zum Big Player, der sich sicher auch noch verbessern kann. Es ist uns aber auch sehr wichtig, dass wir Angebote für junge Menschen entwickeln. Über verschiedene Plattformen werden wir später Informationen zugänglich machen: Was passiert hier? Warum ist das wichtig? Wo können wir wirklich Fortschritte erzielen? Es wird eine Studierendenakademie geben, die an verschiedenen Standorten in Deutschland jährlich stattfindet, um eine kleine Gruppe sehr intensiv mit dem Thema vertraut zu machen. Das Thema Green ICT wird aber auch in verschiedenen Lehrveranstaltungen quer über Deutschland integriert und auch Teil von Aus-und Weiterbildungsangeboten sein.
Was ist die Vision allgemein und konkret mit »Green ICT @ FMD«?
[NFN] Die Vision hinter dem Projekt ist für uns, dass jede Firma, egal wo sie in der Kette der Elektronikherstellung steht, für sich optimal die Umwelteigenschaften berücksichtigen kann. Das ist nicht so einfach, dafür braucht man ganz viele Informationen aus dieser Kette: Was machen die Firmen, die davor liegen? Aber auch, was machen die Firmen, die in der Kette dahinter liegen? Wenn jeder diese Informationen hätte und bei sich das Optimum rausholen kann, ohne woanders in der Kette eine Verschlechterung zu erzeugen, das wäre das, was wir mit »Green ICT @ FMD« erreichen wollen.
[MB] Eine Vision für eine nachhaltige Mikroelektronik wäre für mich, dass wir die Mikroelektronik wieder vermehrt in der EU produzieren und unabhängiger von anderen Ländern werden. Außerdem ist es entscheidend, dass die Gesellschaft versteht, dass auch die Mikroelektronik viele Ressourcen und viel Energie verbraucht und dass wir unsere Elektronik so lange wie möglich benutzen sollten.
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