#Chip Happens-Podcast: Staffel 2, Folge 4 I Gefahren für unsere Meere

Große Probleme brauchen häufig ziemlich kleine Helfer. Der Podcast »Chip Happens – Kleine Dinge, die alles verändern« von Chipdesign Germany zeigt, wie Mikroelektronik und Chipdesign dabei helfen können, die drängenden Fragen unserer Zeit anzugehen – jederzeit nachvollziehbar und alltagsnah. Das Format richtet sich an alle, die verstehen wollen, wie Technik im Hintergrund wirkt und dennoch zentrale Weichen stellt. Kluge Köpfe aus der Branche sprechen hierfür mit Moderator Sven Oswald über ihre faszinierenden Geschichten, geben überraschende Einblicke und zeigen hautnah die vielen Möglichkeiten, die unser Fachbereich bietet.Wasser ist Leben. Und Mikroelektronik hilft uns, es zu finden, zu reinigen, zu überwachen und zu bewahren. In Staffel 2 von »Chip Happens«, dem Podcast von Chipdesign Germany, dreht sich alles um das Element Wasser – von der Tiefsee bis ins Weltall.

Staffel 2, Folge 4 I Gefahren für unsere Meere – von Schattenflotten und illegalem Fischfang

In dieser Folge von »Chip Happens« beleuchtet Sven Oswald die Gefahren für unsere Meere: Schattenflotten, illegaler Fischfang und die Risiken durch schlecht gewartete Öltanker.

Dr. Sebastian Bruns vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) erklärt, wie Schiffe unter Billigflaggen fahren, ihre AIS (Automatic Identification System)-Kennung fälschen oder abschalten und so Sanktionen umgehen. Er spricht über die Herausforderungen in stark befahrenen Gebieten wie der Ostsee, das Konzept der Maritime Domain Awareness und die Schwierigkeit, zwischen Seenotfällen und kriminellen Handlungen zu unterscheiden.

Außerdem geht es um Maßnahmen gegen Schattenflotten – von beschlagnahmten Tankern bis zu internationalen Kontrollen. Zum Abschluss zeigt Konstantin Klemmer, KI-Forscher bei Climate Change AI, wie Satellitendaten, optische Bilder und Radar genutzt werden, um illegale Aktivitäten auf See sichtbar zu machen.

Erfahren Sie, warum Schattenflotten eine wachsende Bedrohung darstellen – und wie KI und Satelliten zur Sicherheit unserer Meere beitragen können.

Worum geht es in der Folge?

Dr. Sebastian Bruns zur russischen Schattenflotte und Sicherheit in der Ostsee:

Situation:

Sogenannte Schattenflotten existieren bereits seit Jahren in verschiedenen Regionen der Welt. In der Ostsee hat ihre Aktivität jedoch besonders in den vergangenen zwei bis drei Jahren deutlich zugenommen. Der Begriff bezeichnet Schiffe, die sich in rechtlichen Grauzonen bewegen; häufig mit unklaren Eigentumsverhältnissen, mangelhafter Wartung und zweifelhaftem technischem Zustand. Diese Schiffe verstoßen teilweise gegen internationale Regeln der Seefahrt. Dabei handelt es sich nicht um eine fest strukturierte Flotte, sondern um zahlreiche unabhängig operierende Schiffe, die flexibel ihre Routen und Identitäten wechseln.

 

Ein zentraler Punkt betrifft das automatische Identifikationssystem (AIS). Dieses ist für große und kommerzielle Schiffe verpflichtend, um Position, Kurs und Geschwindigkeit transparent zu übermitteln. Die Schattenflotte umgeht diese Vorschrift teilweise gezielt: Diese Schiffe schalten ihr AIS zeitweise ab oder senden falsche Kennungen. Dadurch wird ihre Identität verschleiert, die Nachverfolgung erschwert und ein Sicherheitsrisiko im maritimen Verkehr erhöht.

Problemstellung:

Die Schattenflotte wird in großem Umfang genutzt, um bestehende Embargos gegen Russland zu umgehen, insbesondere beim Transport von Öl.

 

In stark befahrenen Gewässern wie der Ostsee sind diese Schiffe aufgrund der Menge an aktiven Booten schwer zu identifizieren. In Meerengen oder bei Häfen fallen die Schiffe jedoch stärker auf, da dort engmaschiger überwacht wird.

 

Das Risiko durch Schiffe der Schattenflotten ist erheblich: Sie sind oft technisch in schlechtem Zustand, was das Risiko unerkannter Havarien oder Umweltkatastrophen erhöht.

 

Hinzu kommt eine sicherheitspolitische Dimension. Einige Schiffe der Schattenflotte werden nicht nur zum Öltransport, sondern auch für Spionageaktivitäten genutzt; etwa, indem sie gezielt Unterwasserinfrastruktur wie Pipelines oder Datenkabel auskundschaften.

 

Die Überwachung des Schiffsverkehrs in der Ostsee ist eine komplexe Aufgabe. Die deutsche Marine verfügt derzeit bspw. über rund 45 Kriegsschiffe, von denen nur etwa ein Drittel gleichzeitig im Einsatz ist. Eine lückenlose Kontrolle des gesamten Seegebiets ist daher kaum möglich.

Lösungsansätze/Innovationspotenziale:

Zur Erhöhung der sogenannten »maritime domain awareness« – also der umfassenden maritimen Lageerkennung – werden Radarsysteme, Satellitendaten und AIS-Tracking kombiniert. Auffällige Bewegungsmuster, ungewöhnliche Kursänderungen oder Kommunikationsausfälle können auf Aktivitäten der Schattenflotte hinweisen. Dennoch bleibt die Auswertung dieser Datenmenge aufwendig und erfordert erhebliche Ressourcen.

 

Die bestehenden Sanktionspakete der EU und ihrer Partner zeigen bereits Wirkung: Rund 450 Schiffe der Schattenflotte stehen mittlerweile auf Sanktionslisten und dürfen weder sanktioniertes Öl noch andere Güter transportieren, die Russlands Kriegskasse stärken könnten.

 

Allerdings bleibt die juristische Aufarbeitung komplex. Besitzstrukturen dieser Schiffe sind oft verschleiert, Firmen sitzen in Drittstaaten, und Eigentumsverhältnisse werden verschleiert. Dadurch wird die Durchsetzung von Sanktionen und das Festsetzen solcher Schiffe immer wieder zur Herausforderung.

Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf / Aktuelle Projekte:

Unter den derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen bleibt vieles Symptombekämpfung. Langfristig können nur klarere internationale Regeln, verbesserte technische Überwachungssysteme und eine enge Zusammenarbeit zwischen den europäischen Küstenstaaten wirksam Abhilfe schaffen.

 

Die zunehmende Aktivität der Schattenflotte zeigt, wie stark wirtschaftliche Interessen und geopolitische Konflikte auf den maritimen Raum übergreifen. Eine verbesserte maritime Lageerkennung ist daher nicht nur eine Frage des Handels, sondern der Sicherheit in Europa.

Konstantin Klemmer von Climate Change AI:

Situation:

Dank frei verfügbarer Satellitendaten – etwa der Sentinel-Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) – können Startups und Forschungseinrichtungen heute wesentlich einfacher datengetriebene Analysen durchführen. Diese Systeme liefern optische Aufnahmen bei Tageslicht oder auch Radaraufnahmen bei Nacht oder Bewölkung, wodurch eine nahezu kontinuierliche Beobachtung der Erdoberfläche möglich wird.

 

Die von Datenexperten wie Konstantin Klemmer genutzten (Sentinel-)Daten besitzen eine Auflösung von rund zehn Metern pro Pixel und liefern wöchentlich ein Bild jedes Punktes der Erde. Einzelne Fahrzeuge sind damit nicht sichtbar – größere Objekte wie Schiffe hingegen schon. So eröffnen sich neue Möglichkeiten, Schiffsbewegungen und maritime Aktivitäten großflächig zu analysieren.

Problemstellung:

Die zentrale Herausforderung liegt in der Echtzeit-Auswertung der riesigen Datenmengen, die durch die stetig wachsende Zahl moderner Satelliten und neuer Modelle entstehen. Mit jeder neuen Satellitengeneration steigt sowohl die Auflösung als auch die Aufnahmerate und damit auch das Datenvolumen.

 

Diese Fülle an Informationen manuell auszuwerten ist kaum möglich. Gesucht werden daher automatisierte Verfahren, die relevante Muster zuverlässig erkennen und interpretieren können; beispielsweise auffällige Schiffsbewegungen oder Veränderungen an Küsten und Häfen.

Lösungsansätze/Innovationspotenziale:

Hier kommen Künstliche Intelligenz (KI) und neuronaler Netze ins Spiel, die auf Bilddaten trainiert werden können.

 

Zu Beginn markieren Analyst:innen eine begrenzte Anzahl an Schiffen manuell. Das neuronale Netz lernt daraus, ähnliche Strukturen selbstständig zu erkennen. Anschließend kann es bestimmte Schiffe über längere Zeiträume hinweg identifizieren und ihre Bewegungen nachverfolgen.

 

Auf diese Weise entstehen globale Bewegungskarten des Schiffsverkehrs; zum Beispiel auch von Schiffen, die ihr Identifikationssystem (AIS) abgeschaltet haben. Darüber hinaus lässt sich erkennen, in welchen Meeresregionen sich innerhalb bestimmter Zeiträume ungewöhnlich viele Bewegungen oder Aktivitätsmuster häufen.

 

Diese Methode ermöglicht eine völlig neue Form der maritimen Transparenz mit erheblichem Potenzial für Sicherheits-, Umwelt- und Wirtschaftsanalysen.

Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf / Aktuelle Projekte:

Vor allem große Containerschiffe lassen sich (z.B. aufgrund der typischen Anordnung ihrer Container) über weite Strecken hinweg bereits gut identifizieren. Auch Fischereifahrzeuge weisen oft charakteristische visuelle Merkmale auf, die von KI-Systemen bislang jedoch schwerer erkannt werden können.

 

Mit der weiteren Verbesserung der Satellitenauflösung und leistungsfähigeren Modellen könnten künftig noch mehr visuelle Marker – etwa Flaggen, Aufbauten oder Schiffstypen – automatisch erkannt werden. Das wäre beispielsweise beim Kampf gegen illegalen Fischfang ein bedeutender Fortschritt.

 

Ein weiteres Potenzial liegt in der unterschiedlichen Datendichte: In Städten liefern Satelliten extrem detaillierte Aufnahmen, über den Ozeanen dagegen deutlich weniger. KI-gestützte Systeme können hier immer gezielter und v.a. effizienter Anomalien identifizieren und so aus spärlichen Daten automatisiert wertvolle Informationen gewinnen.

 

Zukünftig wird es wahrscheinlich möglich sein, unsere Erde nahezu in Echtzeit zu analysieren – vom globalen Schiffsverkehr über den Ausbau von Offshore-Windparks bis hin zu wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen.

 

Langfristig kann KI so dazu beitragen, ein ganzheitlicheres Verständnis unserer Welt zu gewinnen, indem sie Satellitendaten mit anderen Messquellen (etwa Klimadaten) kombiniert. Damit wird sie zu einem zentralen Werkzeug, um die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf Umwelt, Wirtschaft und Klima besser zu verstehen.

Zur vierten Folge der zweiten Staffel – Gefahren für unsere Meere (Spotify):


In der nächsten Woche befassen wir uns u. a. damit, wie Mikroelektronik dabei hilft, Fische in Aquaponik in einem geschlossenen Kreislauf an Land zu züchten.  

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