#Chip Happens-Podcast: Staffel 2, Folge 6 I Tiefsee-Erkundung: Forschung unter Druck
Große Probleme brauchen häufig ziemlich kleine Helfer. Der Podcast »Chip Happens – Kleine Dinge, die alles verändern« von Chipdesign Germany zeigt, wie Mikroelektronik und Chipdesign dabei helfen können, die drängenden Fragen unserer Zeit anzugehen – jederzeit nachvollziehbar und alltagsnah. Das Format richtet sich an alle, die verstehen wollen, wie Technik im Hintergrund wirkt und dennoch zentrale Weichen stellt. Kluge Köpfe aus der Branche sprechen hierfür mit Moderator Sven Oswald über ihre faszinierenden Geschichten, geben überraschende Einblicke und zeigen hautnah die vielen Möglichkeiten, die unser Fachbereich bietet. Wasser ist Leben. Und Mikroelektronik hilft uns, es zu finden, zu reinigen, zu überwachen und zu bewahren. In Staffel 2 von »Chip Happens«, dem Podcast von Chipdesign Germany, dreht sich alles um das Element Wasser – von der Tiefsee bis ins Weltall.
Staffel 2, Folge 6 I Underwater Love – Robotik in der Tiefsee
Was passiert an den tiefsten und geheimnisvollsten Orten unseres Planeten? In der sechsten Folge von »Chip Happens« gehen wir dieser Frage nach und zeigen, wie Tiefsee-Forschende mit Hilfe sog. Soft Robotic immer weiter in die verborgene Welt der Tiefsee vordringen möchten. Dorthin, wo bislang kaum jemand hineinsehen und forschen konnte.
Dr. Tom Kwasnitschka ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am »GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel«. Er erforscht die Tiefsee sowie deren Vulkane und entwickelt Lösungen, um sichtbare Einblicke in einen Lebensraum zu gewinnen, der für den Menschen sonst völlig verborgen bleibt.
Cora Maria Sourkounis arbeitet am Institut für Montagetechnik und Industrierobotik (MATCH) der Leibniz-Universität Hannover. Die Doktorandin forscht im Bereich Soft Robotics, also an flexiblen, naturinspirierten Robotern, und entwickelt gemeinsam mit dem GEOMAR neue Systeme, die auch unter extremen Tiefseebedingungen einsatzfähig sind.
Worum geht es in der Folge?
Dr. Tom Kwasnitschka über die immense Bedeutung von Robotik für die Erkundung der Tiefsee |
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Situation: |
Die Tiefsee ist einer der am wenigsten erforschten Lebensräume unseres Planeten. Immer wieder werden dort neue, teils spektakuläre Fischarten entdeckt oder ungeahnte geologische Phänomene beobachtet.
Bis heute haben Menschen nur einen winzigen Bruchteil – im Promillebereich – der Tiefsee tatsächlich mit eigenen Augen gesehen. Unser Wissen darüber, was sich in mehreren Tausend Metern Tiefe abspielt, bleibt entsprechend begrenzt. Das liegt vor allem an den physikalischen Eigenschaften des Wassers: Licht dringt nur wenige Hundert Meter tief ein, und elektromagnetische Strahlung wird vollständig absorbiert. Unterhalb dieser Zone herrscht in gewisser Weise absolute Dunkelheit und für uns also Unsichtbarkeit.
Um sich unter Wasser zu orientieren, wird daher meist mit Schall gearbeitet. Sonare liefern zwar wertvolle Daten über Entfernungen und Formen, erzeugen jedoch keine echten Bilder. Die Rohdaten müssen, ähnlich wie bei einem Ultraschallbild in der Medizin, erst interpretiert werden, um eine Vorstellung der Umgebung zu gewinnen. Zudem muss jeder Bereich des Meeresbodens aktiv abgefahren werden, um eine präzise Kartierung zu ermöglichen.
Am GEOMAR untersucht Dr. Tom Kwasnitschka die Morphologie und damit Veränderlichkeit von Unterwasserlandschaften. Dabei werden regelmäßig überraschende Entdeckungen gemacht; etwa bislang unbekannte Phänomene, wie aktive Vulkane in 4000 Metern Tiefe oder neue Gebirgsstrukturen, die anschließend selbst benannt werden können.
Nur mit Hilfe von Bildern und Proben von vor Ort lassen sich jedoch klare Rückschlüsse über die Gründe herausfinden, warum ein Vulkan an einer bestimmten Stelle auf eine bestimmte Art und Weise ausgebrochen ist. Die gewünschten Proben müssen leistungsfähig, in großer Menge und an den richtigen Stellen »angesaugt« werden, um bestmöglich Erkenntnisse gewinnen zu können. |
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Problemstellung: |
Für diese Art von Forschung braucht es also Technologien, die in der Lage sind, neben der Schalluntersuchung auch in Echtzeit Bilder, Messdaten und Proben aus 4000 bis 6000 Metern Tiefe zu liefern und damit direkt sichtbar machen, was bislang absolut verborgen blieb. Insbesondere müssen auch die richtigen Stellen unter dem Wasser beprobt werden. Akustische Messverfahren stoßen bei Tiefseeforschung dieser Art an ihre Grenzen.
Die Genauigkeit solcher Systeme beträgt etwa ein Prozent der Wassertiefe, das bedeutet: In 100 Metern Tiefe kann man etwa einen Meter auflösen, in 1000 Metern Tiefe nur noch zehn Meter. Für viele wissenschaftliche Anforderungen ist das zu ungenau. Eine höhere Auflösung kann entsprechend nur erreicht werden, wenn Messgeräte oder Kameras direkt in die Tiefe vordringen und Daten vor Ort erfassen.
Ein weiterer Engpass: Deutschland betreibt derzeit keine eigenen bemannten Tauchboote. Für Expeditionen muss daher auf internationale Partner zurückgegriffen werden, oder auf neue eigene technologische Alternativen! |
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Lösungsansätze/Innovationspotenziale: |
Eine wichtige Lösung liegt in der Robotik:
In Deutschland werden Systeme am GEOMAR kontinuierlich weiterentwickelt. Einige Roboter agieren komplett autonom und liefern intelligente erste Bilder unbekannter Regionen, andere Roboter werden über Kabel von einem Schiff mit der Tiefsee verbunden, um Echtzeitübertragungen zu ermöglichen.
Diese kabelgebundenen Systeme können in ihren typischen Ausführungen Tiefen von 4000 Metern bis zu 6000 Metern erreichen. Für die extremen Tiefen darunter ist weitere Spezialtechnik notwendig, die nur selten zum Einsatz kommt.
Die Verbindung der Kabel erfolgt entsprechend über bis zu sechs Kilometer lange, daumendicke Glasfaserkabel mit einer Datenrate von 10 Gigabit pro Sekunde; beeindruckende Hightech-Leitungen, die während der Missionen vom Schiff ins Meer abgerollt werden. Und nur über solche Kabelverbindungen ist eine Live-Übertragung von Bilddaten möglich, da Funkwellen unter Wasser nicht funktionieren.
Mit diesen High-End-Systemen lassen sich jetzt Rundumbilder in 16 Megapixel-Auflösung und 30 Bildern pro Sekunde erzeugen. Diese Bilder können nun nahezu in Echtzeit an jedem Ort der Welt betrachtet und gesteuert werden. So entsteht eine direkte visuelle Verbindung zwischen der Oberfläche und den tiefsten Regionen unseres Planeten. |
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Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf / Aktuelle Projekte: |
Je nach Einsatzzweck verfügen Tiefseeroboter über ganz unterschiedliche Fähigkeiten: Einige liefern ausschließlich Bilddaten, andere sind mit Greifarmen oder Werkzeugen ausgestattet und können in der Tiefe aktiv Proben nehmen oder Arbeiten ausführen.
In der Öl- und Gasindustrie werden solche »Heavy-Work«-Roboter vielfach eingesetzt. In der Forschung kommen häufig umgebaute Geräte zum Einsatz; diese sind jedoch teuer und für wissenschaftliche Aufgaben oft überdimensioniert.
Mit der rasanten Entwicklung der Drohnentechnologie eröffnen sich hier neue Möglichkeiten. Viele Konzepte aus der Luftrobotik können auf den Unterwasserbereich übertragen werden. Die Kombination aus etablierter Tiefseetechnik und kosteneffizienter Drohnentechnologie verspricht die Entwicklung immer besser skalierbarer Generationen von Unterwasserdrohnen. Sie können länger, häufiger und günstiger eingesetzt werden und damit die Forschung erheblich verbessern. Zudem bietet die Soft-Robotic spannende Perspektiven. Diese Roboter bestehen aus flexiblen, weichen Materialien, die sich an natürlichen Strukturen orientieren. Dadurch können sie sich besser an die Umgebung anpassen, empfindliche Lebensräume schonen und auch in schwer zugängliche Bereiche vordringen.
Die Robotik wird so zu einem Schlüsselelement der Tiefseeforschung. Sie erweitert den menschlichen Blick in Regionen, die bislang unzugänglich waren, und bringt uns dem Verständnis des blauen Planeten ein Stück näher.
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Cora Maria Sourkounis zeigt die unglaublichen Potenziale der Soft Robotic, nicht nur für die Tiefseeforschung: |
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Situation: |
Vor einiger Zeit trat Dr. Tom Kwasnitschka vom GEOMAR an das Institut für Montagetechnik und Industrierobotik (MATCH) der Leibniz Universität Hannover mit einer besonderen Anfrage heran: Er benötigte einen Roboter aus dem Bereich der Soft Robotics, also aus weichen, nachgiebigen Materialien, der Proben in der Tiefsee entnehmen kann.
Doch diese Aufgabe ist alles andere als einfach. Denn die Tiefsee stellt extreme Anforderungen: enormer Wasserdruck, Salzwasser, hohe Strömungskräfte und die Notwendigkeit, unter diesen Bedingungen präzise und zuverlässig zu arbeiten. |
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Problemstellung: |
Wie lässt sich ein flexibler Soft-Roboter so designen und anpassen, dass er in mehreren Tausend Metern Tiefe funktioniert?
Dort herrscht Druck von mehreren Hundert Bar (1 Bar entspricht etwa dem Luftdruck auf Meereshöhe). In 6000 Metern Tiefe wirkt also ein Druck von rund 600 Bar; das entspricht etwa dem Gewicht von 6000 Tonnen pro Quadratmeter.
Neben den physikalischen Belastungen müssen entsprechend Materialbeständigkeit, Elektronikschutz und im nächsten Schritt auch die Steuerbarkeit sichergestellt werden. Nicht zuletzt spielt auch die Kostenfrage eine große Rolle: klassische Tiefseeroboter aus Titan oder anderen robusten Materialien sind häufig sehr teuer. Hier kann die Soft Robotics mit ihren leichten, kostengünstigen Werkstoffen eine attraktive Alternative bieten. |
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Lösungsansätze/Innovationspotenziale: |
Am MATCH in Hannover wurde auf Basis bestehender Prototypen ein neues, speziell für die Tiefsee entwickeltes integriertes Design erarbeitet.
Statt an klassische, starre Industrieroboter anzulehnen, orientiert sich die Soft Robotic häufig an der Natur, also an »bioinspirierten« Strukturen. Das kann auch in der Tiefsee funktionieren, denn viele Lebewesen vor Ort bestehen bekanntermaßen aus weichen Geweben und können dennoch großem Druck standhalten. Das Design muss also entsprechend adaptiert werden.
Für die Anwendung von Dr. Kwasnitschka wurde zur Probennahme ein Greifarm in Form eines Rüssels entwickelt, der vom Elefantenrüssel inspiriert ist. Diese flexible Struktur befindet sich zentral im neuen Robotersystem und soll flexibel Proben aufnehmen. Dabei liegt die besondere Stärke darin, mit diesem Rüssel noch besser an spezifische Stellen zu kommen, an die konventionelle Systeme nicht hinreichen können.
Zudem musste das Design schlank, leicht und kosteneffizient sein. Durch den Einsatz von Kunststoffen statt Titan können viel Gewicht und Materialkosten eingespart werden. Zudem sind leichtere Systeme beim Transport und Handling deutlich einfacher und damit kostengünstiger nutzbar. Im Rahmen des Projekts wurden mehrere Prototypen entwickelt:
Das Ergebnis: eine Auswahl »weicher« Tiefseeroboter, die sich an natürliche Formen anlehnt und zugleich in extremen Umgebungen einsetzbar sein soll. |
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Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf / Aktuelle Projekte: |
Die aktuellen Prototypen werden derzeit auf etwa 1,5 Meter Länge skaliert und in der Druckkammer des GEOMAR unter simulierten Bedingungen von bis zu 600 Bar getestet. Diese Tests helfen, die Strukturen Schritt für Schritt zu optimieren. Nach Abschluss der Labortests könnten erste Tiefseeversuche stattfinden.
Zudem möchten die Teams an der Weiterentwicklung der Steuerung und Automatisierung ansetzen:
Regelungstechnik und Programmierung sollen verbessert werden,
Eine weitere Herausforderung zeigt sich beim Abwurf aus dem Forschungsschiff. Der Roboter muss auch die mechanischen Kräfte des Eintauchens unbeschadet überstehen. Ein Aspekt, der nicht unterschätzt werden darf.
In Zukunft könnten solche Soft-Roboter zudem Tiefseehöhlen erkunden oder mit weiteren Kameras und Sensoren ausgestattet werden, um Bereiche zu erforschen, die für klassische, starre Tiefseeroboter unerreichbar sind.
Das Projekt vereint also Robotik, Meeresforschung und viele weitere Disziplinen und bildet ein echtes Paradebeispiel für interdisziplinäre Zusammenarbeit. |
Zur sechsten Folge der zweiten Staffel – (Spotify):
In der nächsten Woche befassen wir uns u. a. damit, wie Mikroelektronik und Robotik dabei hilft, Sturmfluten, Tsunamis und andere Hochwasser vorherzusagen und zu warnen.