#Chip Happens-Podcast: Staffel 2, Folge 7 I Wenn zu viel Wasser zur Gefahr wird – von Tsunamis, Hochwassern und Sturmfluten
Große Probleme brauchen häufig ziemlich kleine Helfer. Der Podcast »Chip Happens – Kleine Dinge, die alles verändern« von Chipdesign Germany zeigt, wie Mikroelektronik und Chipdesign dabei helfen können, die drängenden Fragen unserer Zeit anzugehen – jederzeit nachvollziehbar und alltagsnah. Das Format richtet sich an alle, die verstehen wollen, wie Technik im Hintergrund wirkt und dennoch zentrale Weichen stellt. Kluge Köpfe aus der Branche sprechen hierfür mit Moderator Sven Oswald über ihre faszinierenden Geschichten, geben überraschende Einblicke und zeigen hautnah die vielen Möglichkeiten, die unser Fachbereich bietet. Wasser ist Leben. Und Mikroelektronik hilft uns, es zu finden, zu reinigen, zu überwachen und zu bewahren. In Staffel 2 von »Chip Happens«, dem Podcast von Chipdesign Germany, dreht sich alles um das Element Wasser – von der Tiefsee bis ins Weltall.
Staffel 2, Folge 7 I Über Tsunamis, Hochwasser und Sturmfluten
In der aktuellen Folge von »Chip Happens« sprechen wir mit:
Dr. Annabel Händel, Seismologin am GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung, gibt Einblicke in ihre Arbeit zur Tsunami-Frühwarnung, ihre Mitarbeit bei einem eigenen Warnsystem für Indonesien und zeigt, wie die Technologie immer weiter entwickelt wird.
Dr. Leonard Borchert, Klimaforscher an der Universität Hamburg, zeigt, wie KI-Modelle auf Basis von Klima- und Wetterdaten helfen, Sturmfluten und deren Wahrscheinlichkeit teilweise Monate im Voraus vorherzusagen und damit langfristige Planungen zu unterstützen.
Daniel Faust, stellvertretender Abteilungsleiter im Geschäftsbereich Electronic Safety and Security Systems for the Public and Industries (ESPRI) am Fraunhofer FOKUS, berichtet, wie Systeme wie KATWARN zu vernetzten Lösungen weiterentwickelt werden, die gezielte, regionale und nach stärke abgestufte Warnungen ermöglichen.
Worum geht es in der Folge?
Dr. Annabel Händel über Warnsysteme auf und unter dem Wasser: |
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Situation: |
Seebeben und die daraus entstehenden Tsunamis zählen zu den gefährlichsten Naturereignissen weltweit. Die durch sie ausgelösten Wassermassen können innerhalb kürzester Zeit ganze Küstenregionen verwüsten. Schutzmöglichkeiten sind begrenzt und oft bleibt nur die Flucht als letzte Option.
Für den Katastrophenschutz zählt dabei jede Minute. Frühwarnsysteme sind daher entscheidend, um Menschenleben zu retten. Durch den heutigen, nahezu flächendeckenden Internetzugang und die mobile Kommunikation erreichen Warnungen deutlich mehr Menschen und können gezielter verbreitet werden als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Bereits 2005 startete unter Beteiligung des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ – ein internationales Projekt, um ein Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean zu entwickeln.
Tsunamis entstehen häufig durch Seebeben, die den Meeresboden abrupt verschieben und dabei große Wassermassen in Bewegung setzen. Die dabei entstehenden Wellen breiten sich kreisförmig mit Geschwindigkeiten von bis zu 800 Kilometern pro Stunde aus; ähnlich einem Verkehrsflugzeug. Aber auch andere Ereignisse wie bspw. Erdrutsche können Seebeben auslösen. Das führt bei der Detektion teilweise zu Problemen. |
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Problemstellung: |
Trotz ihrer Geschwindigkeit sind Tsunami-Wellen auf offener See schwer zu erkennen. Sie sind lang und flach, und gewinnen ihre zerstörerische Kraft meist erst in Küstennähe. Diese Eigenschaften erschweren eine rechtzeitige Detektion erheblich.
Besonders komplex ist die Lage in Regionen wie Indonesien, wo die Erdbebenherde sehr nah an der Küste liegen. Zwischen dem auslösenden Seebeben und dem Auftreffen der Wellen vergehen dort oft nur rund 20 Minuten. Damit eine Evakuierung möglich bleibt, müssen Warnungen spätestens innerhalb von fünf Minuten nach dem Beben ausgelöst werden; eine enorme technische und organisatorische Herausforderung. |
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Lösungsansätze/Innovationspotenziale: |
Während die Tsunami-Wellen selbst schwer zu erfassen sind, lassen sich die zugrunde liegenden Seebeben sehr präzise messen. Deren seismische Wellen erreichen Messstationen bereits wenige Sekunden nach dem Ereignis und damit deutlich früher als die Flutwellen.
Diese Daten werden in Echtzeit an die Warnzentren übermittelt. Dort analysieren Algorithmen und Expertinnen und Experten, wo das Beben stattfand, in welcher Tiefe es lag und wie stark es war. Auf dieser Grundlage werden Szenarien berechnet, um abzuschätzen, welche Küstenregionen betroffen sein könnten und in welchem Ausmaß.
Ergänzend fließen Daten aus GPS-Messungen und Pegelbojen ein, die den Meeresspiegel kontinuierlich überwachen. Beispielsweise im Falle Indonesiens, wo Tsunamis häufig sehr küstennah entstehen, spielt die Geschwindigkeit der Datenübertragung eine zentrale Rolle: Nur wenn Informationen nahezu ohne Zeitverzögerung weitergeleitet werden, kann eine rechtzeitige Warnung erfolgen.
Seit 2011 ist mit dem German-Indonesian Tsunami Early Warning System for the Indian Ocean (GITEWS) deshalb ein komplexes, computergestütztes Warnsystem im Einsatz, das Messdaten aus verschiedenen Quellen zusammenführt und Warnungen in kürzester Zeit auslöst. |
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Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf / Aktuelle Projekte: |
Das indonesische Warnsystem, an dem Dr. Händel mitarbeitet, wurde in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt; etwa durch verbesserte GPS-Auswertungen und präzisere seismologische Modelle.
Aktuell untersuchen Forschende, wie sich Tsunamis erkennen lassen, die nicht durch Seebeben entstehen, sondern beispielsweise durch Hangrutsche unter Wasser. Solche Ereignisse senden keine klassischen Erdbebenwellen aus und sind daher besonders schwer zu detektieren.
Ein neues Projekt, an dem Dr. Händel mitwirkt, erforscht außerdem, wie bestehende Unterseekabel und ihre Repeater zu Sensoren umfunktioniert werden können. Diese könnten künftig Veränderungen von Druck, Temperatur oder Vibrationen erfassen und so zu einem bislang einzigartigen Messnetzwerk unter Wasser beitragen.
Da die Repeater und Kabel regelmäßig gewartet und ausgetauscht werden, könnte so nach und nach ein engmaschiges Sensorennetz im Ozean entstehen – ein entscheidender Fortschritt, um seismische Aktivitäten auf See besser zu überwachen.
Auch die Glasfaserkabel selbst könnten perspektivisch als faseroptische Sensoren dienen. Die Technologie birgt großes Potenzial, befindet sich aber noch in der Forschungsphase. |
Dr. Leonard Borchardt über Langzeitanalysen von Sturmfluten mit Hilfe von KI: |
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Situation: |
Sturmfluten gehören seit jeher zu den prägenden Naturereignissen an Nord- und Ostseeküste. Ihre Analyse und Vorhersage hat eine lange Tradition: Schon sehr lange werden kurzfristige Prognosen erstellt, meist wenige Tage bis Wochen im Voraus. Diese liefern in der Regel auch recht verlässliche Angaben zu Stärke, Ort und möglichen Auswirkungen auf die Küstenlinien in diesem Zeitrahmen. |
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Problemstellung: |
Solche kurzfristigen Analysen sind jedoch nur bedingt geeignet, um langfristige Schutzmaßnahmen zu planen.
Langfristige Vorhersagen dieser Art könnten den Katastrophenschutz und die Küstenplanung erheblich unterstützen: Wenn beispielsweise ein erhöhtes Risiko besteht, können frühzeitig zusätzliche Schutzvorkehrungen getroffen werden. So zum Beispiel durch die Bereitstellung von Sandsäcken, Baufahrzeugen oder mobilem Küstenschutzmaterial weit im Voraus.
Mit herkömmlichen Methoden sind solche weitreichenden Vorhersagen bisher jedoch nicht möglich. |
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Lösungsansätze/Innovationspotenziale: |
Um diese Lücke zu schließen, setzt Dr. Borchert auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI).
Dieses Vorgehen ermöglicht erstmals längerfristige Prognosen, die über die klassische Wettervorhersage hinausgehen. In einem Pilotprojekt in Cuxhaven konnte das Modell bereits überzeugende Ergebnisse liefern: Es zeigt beispielsweise, mit welcher Wahrscheinlichkeit Sturmfluten in den kommenden zehn Jahren auftreten könnten.
Die Güte solcher Analysen hängt dabei jedoch entscheidend von der Verfügbarkeit und Qualität der Daten ab; das heißt, je umfangreicher und längerfristig die Datensätze, desto präziser werden die Ergebnisse für die Zukunft. |
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Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf / Aktuelle Projekte: |
In einem nächsten Schritt sollen die entwickelten Modelle auf weitere Standorte übertragen werden. Erste Tests an der Nordsee zeigen, dass die Methode grundsätzlich auch unter unterschiedlichen regionalen Bedingungen zuverlässig funktioniert.
Darüber hinaus lassen sich die eingesetzten Technologien perspektivisch auch auf das Landesinnere ausweiten. So können künftig extreme Wetter- und Hochwasserereignisse potenziell noch frühzeitiger erkannt und besser eingeschätzt werden. |
Daniel Faust über KATWARN und wie sich Warnmöglichkeiten weiterentwickeln: |
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Situation: |
Frühwarnsysteme und präzise Prognosen sind nur dann wirksam, wenn die Warnungen die Menschen auch tatsächlich erreichen. In Deutschland übernimmt diese Aufgabe seit vielen Jahren unter anderem die App KATWARN. Sie informiert Bürgerinnen und Bürger regional über aktuelle Gefahrenlagen; von Unwettern über Hochwasser bis hin zu Bränden oder Störungen in der Infrastruktur.
KATWARN wurde ursprünglich 1999 entwickelt, zunächst als SMS- und E-Mail-Dienst zur Unwetterwarnung. Seit 2011 steht das System als mobile App zur Verfügung und hat sich seither kontinuierlich weiterentwickelt. Heute werden zahlreiche Informationsquellen integriert, darunter die Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes, Hochwassermeldungen, kommunale Eingaben sowie lokale Starkregenhinweise. |
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Problemstellung: |
Die Herausforderung liegt darin, Warnungen so zu gestalten, dass sie zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und mit der passenden Dringlichkeit ankommen. |
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Lösungsansätze/Innovationspotenziale: |
Daniel Faust, stellvertretender Abteilungsleiter im Geschäftsbereich Electronic Safety and Security Systems for the Public and Industries (ESPRI) am Fraunhofer-Institut FOKUS, berichtet, dass KATWARN in seinen Anfangsjahren nur selten Warnungen versandte, und diese zudem nicht nach Intensität unterschied. Heute ist das System deutlich flexibler aufgebaut und erlaubt eine fein abgestufte Kommunikation. So können beispielsweise sicherheitsrelevante Vorab-Mitteilungen gesendet werden, bevor eine eigentliche Warnung ausgesprochen wird.
Bei akuten Gefahren erzeugen Warnungen inzwischen deutlich aufmerksamkeitsstärkere Signale. Diese sind vergleichbar mit den Alarmtönen des bundesweiten Warntags.
Zudem lassen sich Meldungen mittlerweile wesentlich genauer eingrenzen:
KATWARN ist damit die auf den lokalen Raum spezialisierte Lösung in Deutschland und ergänzt andere, überregionale oder globale Warnsysteme mit ihren spezifischen Fähigkeiten. |
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Weiterer Forschungs-/Entwicklungsbedarf / Aktuelle Projekte: |
Die Weiterentwicklung von KATWARN zielt darauf, globale oder überregionale Warnungen noch präziser auf lokale Gegebenheiten und spezifische Situationen herunterzubrechen. Dafür wird an neuen Modellen gearbeitet, die lokale Gefährdungslagen noch besser interpretieren und Warnmeldungen automatisch anpassen können. Ziel ist ein intelligentes Warnsystem, das nicht nur informiert, sondern gezielt und kontextabhängig schützt. |
Zur siebten Folge der zweiten Staffel – (Spotify):
In der nächsten Woche befassen wir uns damit, wie Mikroelektronik dabei unterstützen kann, die Seenotrettung zu verbessern.